Somatoforme Störungen – ein Überblick
Somatoforme Störungen (umgangssprachlich auch als psychosomatische Beschwerden bezeichnet) sind eine Gruppe von verschiedenen psychischen Erkrankungen, deren Hauptmerkmal körperliche Beschwerden bzw. Schmerzen ohne eindeutige bzw. unzureichende körperliche Ursache oder verhältnismäßigen ärztlichen Befund darstellen. Stehen vor allem körperliche Beschwerden und nicht Schmerzen im Vordergrund der Symptomatik spricht man je nach Schweregrad und Dauer der Symptomatik von einer Somatisierungsstörung, bei vorwiegend vegetativen Symptomen wird von einer somatoformen autonomen Funktionsstörung gesprochen. Stehen vor allem anhaltende und belastende Schmerzen in einem Körperteil im Vordergrund, so wird dies als anhaltende somatoforme Schmerzstörung bezeichnet. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer somatoformen Störung zu erkranken, beträgt je nach Literaturangabe zwischen 4% und 20%, Frauen sind dabei in etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Die Folgen einer somatoformen Störung für betroffene Menschen sind oft eine ungünstige Veränderung des Selbstbildes und gesundheitliche Sorgen. Betroffene verlieren das Vertrauen in die Funktion ihres Körpers, empfinden sich im Alltag als nicht mehr belastbar, schränken aktive Interessen und körperliche Bewegung massiv ein und die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leidensdruck sowie Beeinträchtigungen in beruflichen, privaten oder sozialen Funktionsbereichen.
Die körperlichen Beschwerden im Rahmen einer Somatisierungsstörung können sehr unterschiedlich sein und die Funktion nahezu aller wichtigen Körpersysteme betreffen, beispielsweise kardiovaskuläre Symptome (Herz- und Atembeschwerden), neurologische Symptome (Schwindel, Gleichgewichtsprobleme, Funktionseinschränkung der Sinne), vegetative Symptome (z.B. Herzklopfen, Schwitzen oder Zittern) oder gastrointestinale Symptome (z.B. Magenbeschwerden oder Verdauungsprobleme).
Meist liegt auch nach intensiver organischer Abklärung kein eindeutiger körperlicher Befund vor, der Ausmaß und Intensität der körperlichen Symptome ausreichend begründen kann. Bei der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung kann im Gegenzug zur Somatisierungsstörung ursächlich zwar eine körperliche Problematik zugrunde liegen, die Intensität der Schmerzempfindung steht jedoch nicht im Verhältnis zum Schweregrad der körperlichen Schädigung, so dass psychischen Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Intensität und Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen wird.
Neben einer begleitenden ärztlichen Betreuung kann eine Psychotherapie betroffenen Menschen dabei unterstützen, wieder aktiver am Leben teilzunehmen, das Körperempfinden zu verbessern und die körperliche Symptomatik neu zu bewerten.
Psychische und körperliche Symptomatik
Im Vordergrund somatoformer Störungen steht neben den körperlichen Beschwerden vor allem eine Veränderung der Selbst- und Körperwahrnehmung. Betroffene nehmen sich und ihren Körper als nicht funktionstüchtig, als krank, eingeschränkt und nicht mehr leistungsfähig bzw. belastbar wahr, was gerade in Hinblick auf die vorherrschende Wahrnehmung unserer Gesellschaft als leistungsorientiert bei Betroffenen zu einem Selbstwertverlust und zu Insuffizienzgedanken im Beruf und Privatleben führen kann. Oft fällt es Betroffenen sehr schwer, ihre eigenen Leistungsansprüche rechtzeitig anzupassen (z.B. aus Scham oder Furcht vor gesellschaftlicher Zurückweisung oder beruflichen Konsequenzen) und sie sehen sich aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen gezwungen, im Alltag ihre Leistungsgrenzen wiederholt zu übertreten.
Betroffene Menschen haben oft schon eine ganze Reihe von Arztbesuche und medizinische Abklärungen hinter sich gebracht und das Fehlen einer ausreichenden Erklärung für die körperlichen Beschwerden verstärkt nachhaltig ihre Verzweiflung und Unsicherheit sowie oft auch die Sorge vor einer weiteren Zunahme der Beschwerden, die sich durch Aufmerksamkeitsverlagerung auf körperliche Veränderungen bis zu einer massiven Angst, an einer schwerwiegenden, noch nicht diagnostizierten Erkrankung zu leiden, steigern kann. In der Hoffnung, irgendwann wieder vollständig zu genesen, lassen sie sich oft bereitwillig auf vielversprechende Behandlungen ein und es kann Jahre dauern, bis betroffene Menschen bereit sind, ihre körperlichen Beschwerden als einen Teil bzw. Veränderung ihres Lebens zu akzeptieren, diese in ihr Selbstbild zu integrieren und sich trotz allem selbst wieder zu achten.
Neben der veränderten Selbst- und Körperwahrnehmung begünstigen die anhaltenden körperlichen Beschwerden jedoch oft auch die Entstehung weiterer belastender psychischer Veränderungen. So reduzieren Betroffene – aus Furcht vor weiterer Verschlechterung der Symptomatik oder bei anhaltender qualvoller Schmerzbelastung – nicht selten körperliche Aktivitäten, geben aktive Interessen weitgehend auf, beschäftigen sich übermäßig häufig mit Körpersignalen und Veränderung des Körpers und versuchen zur Entlastung der betroffenen Körperregionen Schonhaltungen einzunehmen, so dass die körperlichen Beschwerden mehr und mehr die tägliche Lebensführung beeinträchtigen und damit zum Mittelpunkt ihres täglichen Erlebens werden. Dies zieht meist Stimmungsverlust, Antriebs- und Aktivitätenverlust, sozialen Rückzug und eine übermäßige gedankliche Beschäftigung mit dem Körper und den körperlichen Symptomen nach sich und begünstigt dadurch auch die Entstehung weiterer psychischer Beschwerden, beispielsweise einer depressiven Begleitsymptomatik.
Die Diagnose einer undifferentierten Somatisierungsstörung (einer weniger ausgeprägten Form der Somatisierungsstörung) oder einer Schmerzstörung werden üblicherweise erst vergeben, wenn die Beschwerden mindestens sechs 6 Monate in Folge angehalten haben. Sind die körperlichen Beschwerden weitreichender und schwerwiegender und haben mindestens 2 Jahre fortwährend angehalten, so wird als Diagnose die Somatisierungsstörung gestellt.
Auslöser, Aufrechterhaltung und Auswirkungen
Somatoforme Störungen zeichnen sich oft durch vielfache Auslösebedingungen aus, die meist über Jahre hinweg wirken, so dass es bei der Entstehung eher zu einem langsamen bzw. chronischen Verlauf und weniger zu einem plötzlichen Auftreten der Störung kommt. Bei der Entstehung sind lerntheoretische, individuelle und situative Faktoren sowie die Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Als begünstige (prädisponierende) Faktoren können aus verhaltenstherapeutischer bzw. lerntheoretischer Sicht frühe oder auch fehlende Erfahrungen mit Krankheit, eine sorgenvolle Erziehung im Umgang mit körperlichen Beschwerden sowie biologische und genetische Faktoren von Bedeutung sein.
Auslösende Faktoren können beispielsweise anhaltende berufliche und private Belastungen, schwere oder chronische Erkrankungen, kritische Lebensereignisse, plötzliche oder anhaltende Veränderungen der Lebensumstände, hohe Belastungen im Alltag (z.B. Doppelbelastung durch Beruf und Familie) sowie dysfunktionale Überzeugungen (z.B. übermäßige Leistungsansprüche) sein. Sind Menschen dadurch gezwungen, ihre eigenen Leistungsgrenzen dauerhaft zu übertreten, dann stellen sich zunächst und dies meist über einen sehr langen Zeitraum hinweg Warnsymptome des Körpers wie z.B. Schlafstörungen, vermehrte Infektionskrankheiten, gastrointestinale Beschwerden oder schmerzhafte muskuläre Verspannungen ein. Oft sind diese körperlichen Hinweise zunächst so schwach oder treten nur vereinzelt auf, dass Betroffene nicht in der Lage sind, diese als Warnsymptome des Körpers zu interpretieren. Werden diese übergangen, besteht die Gefahr des Auftretens weiterer körperlicher Symptome oder bereits bestehende Symptome intensivieren sich – bis hin zu einem Chronifizierungsrisiko. Insbesondere Menschen mit belastenden Lebensbedingungen (z.B. alleinerziehende Mütter, Menschen mit hoher beruflicher und familiärer Verantwortung oder finanziellen Belastungen) sind im Alltag oft sehr fremdbestimmt und dadurch nicht immer in der Lage, sich den Ansprüchen des Umfelds zu entziehen. Dadurch besteht für diese meist nur die Möglichkeit, den an sie gestellten täglichen Anforderungen weiter Folge zu leisten, körperliche Warnhinweise zu übergehen oder zu erdulden und auf eine Besserung der Symptome zu hoffen.
Insbesondere anhaltende Hochstressbelastungen können sich ungünstig auf das langfristige körperliche Befinden auswirken. Obwohl negativer Stress zunächst eine subjektive Bewertung unserer Psyche darstellt, so kann die Psyche doch über die Ausschüttung von Stresshormonen und über das vegetative Nervensystem direkten Einfluss auf körperliche Prozesse nehmen (z.B. erhöhter Herzschlag nach einer „Schrecksekunde“). Stresshormone steuern die Anpassungsfähigkeit unseres Körpers auf Belastungen der Umwelt und steigern kurzfristig unsere Leistungsfähigkeit (z.B. um vor Gefahren zu flüchten). Wirken diese Hormone dauerhaft auf den Körper, so wird dieser gezwungen, seine Leistungsreserven aufzubrauchen und es kommt früher oder später als Folge der zunehmenden Erschöpfung zur Funktionseinschränkung wichtiger Systeme, z.B. dem Immunsystem (z.B. das Einstellen von Krankheiten im Urlaub nach dem Ende einer längeren beruflichen Belastungsphase).
Bei der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung ist neben dem eigentlichen körperlichen Auslöser physiologisch auch das „Schmerzgedächtnis“ des Körpers als Auslöser bzw. aufrechterhaltende Bedingung von Bedeutung. Für jedes Körperteil gibt es im Gehirn eine repräsentative Fläche, die Schmerzsignale dieser Körperteile empfängt und verarbeitet. Kommt es dort zu einer Erregung, wird dies von uns im entsprechenden Körperteil als Schmerz empfunden. Schmerz ist ein Warnsignal, eine Botschaft, dem entsprechenden Teil des Körpers Beachtung zu schenken, da dort etwas nicht in Ordnung ist. Sind die Signale z.B. aufgrund einer starken Verletzung besonders stark und halten diese über einen längeren Zeitraum an, so stellt sich im Gehirn ein Lernprozess ein – die entsprechenden Gehirnzellen (Neuronen) werden leichter erregbar und reagieren intensiver – die Schmerzempfindung nimmt unabhängig vom Schweregrad der Verletzung zu. Hört die Reizung nicht auf, dann reagieren die Neuronen nach einer Weile autonom – auch ohne fortwährende Reizung vom entsprechenden Körperteil und senden eine Schmerzempfindung. Dieses Phänomen wird beispielsweise nach Amputationen als Phantomschmerz beschrieben. Auch hier sind zudem individuelle Faktoren zu berücksichtigen.
Als aufrechterhaltende Bedingungen für somatoforme Störungen sind insbesondere die veränderte Selbstwahrnehmung sowie Veränderungen der Lebensführung der Betroffenen zu nennen. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden richten Betroffene ihren Alltag und ihre Lebensführung auf ihre verminderte Belastbarkeit aus, tendieren zu Schonverhalten, meiden körperliche Aktivitäten, ziehen sich aus dem aktiven Leben zurück und riskieren so eine dauerhafte Abnahme der verbliebenen Leistungsfähigkeit im Alltag durch das fehlendes Training ihres Körpers – ein Teufelskreis. Schonhaltungen begünstigen zudem langfristig weitere Beschwerden, da der Körper für einseitige Belastungen nicht ausgelegt ist. Betroffene Menschen verspüren häufig den Drang, endlich Gewissheit über ihren körperlichen Zustand zu erhalten und nehmen daher oft vermehrt ärztliche Hilfe und medizinische Abklärung in Anspruch. Da sie jedoch oft keine eindeutigen Diagnosen erhalten, die eine Erklärungen für ihre Beschwerden liefern können, wird die Verzweiflung und Besorgnis weiter gesteigert und der Wunsch nach Gewissheit nimmt weiter zu – weitere ärztliche Versorgung wird nötig. Dadurch entsteht der Eindruck, zunehmend fremdbestimmt und von der Hilfe anderer abhängig zu sein. Insbesondere der mit den körperlichen Einschränkungen einhergehende Verlust der Lebensfreude, der Selbstwertverlust, der Gedanke „das Leben nicht mehr genießen zu können“ können langfristig auch den Schwermut begünstigen oder betroffene Menschen verbittern lassen. Bei anhaltenden bzw. unveränderlichen Schmerzen besteht zudem das Risiko einer Persönlichkeitsveränderung aufgrund der fortwährenden und quälenden Schmerzempfindung. Werden Medikamente zur Behandlung der Beschwerden eingenommen, besteht insbesondere bei opiathaltigen Präparaten zur Schmerzbehandlung zudem das Risiko einer körperlichen und psychischen Substanzabhängigkeit sowie der Toleranzbildung.
Diplom-Psychologe Andreas Behnke
Psychologischer Psychotherapeut (VT) aus Bad Soden am Taunus
Diagnostik & Psychotherapie von somatoformen Störungen
Leiden Sie vermehrt unter körperlichen Beschwerden ohne organischen Befund oder besteht bei Ihnen der Verdacht auf eine somatoforme Störung bzw. eine anhaltende Schmerzstörung, so können Sie gerne einen Termin für ein Erstgespräch bzw. eine Sprechstunde in meiner Praxis vereinbaren. Anhand klinischer Diagnostik und einem persönlichen Kennenlerngespräch kann ich prüfen, ob und an welcher Form einer somatoformen Störung Sie erkrankt sind, dann bei Bedarf eine entsprechende Diagnose stellen und mit Ihnen zusammen geeignete Therapiemaßnahmen planen.
Ich behandle bereits seit mehreren Jahren Patienten mit somatoformen Störungen. Als Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie arbeite ich in meiner Praxis vor allem symptomorientiert und setze im meiner Behandlung direkt an der Veränderung des Problemverhaltens an. Ich unterstütze Sie dabei, somatoforme Beschwerden und ihre Entstehungsprozesse besser verstehen und einordnen zu können, die Aufmerksamkeit vom Körper wieder auf angenehme Inhalte des Lebens zu lenken, den eigenen Körper trotz der Beschwerden langsam wieder mehr zu belasten, wieder aktiver zu werden und das Körpergefühl zu verbessern sowie durch gezielte Strategien wie Förderung der Selbstfürsorge, Stressbewältigung und Achtsamkeitstraining die tägliche Beeinträchtigung durch die körperlichen Beschwerden zu reduzieren. In der Behandlung fördere ich zudem Problemlöseprozesse, um mögliche ungünstige bzw. symptombegünstigende Lebensumstände zu verändern.
Weiterführende Informationen zur Behandlung somatoformer Störungen:
Biofeedback zur Diagnose- und Therapie bei somatoformen Störungen
Förderung der Selbstfürsorge in Alltag und Beruf
Entspannungsverfahren in der Psychotherapie
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Über die Praxis
Praxis für Psychotherapie, Diplom-Psychologe Andreas Behnke, Psychologischer Psychotherapeut.
Kognitive Verhaltenstherapie (Einzel) für Erwachsene, Termine nach Vereinbarung. Coaching sowie Paarberatung auf Anfrage.
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Meine Praxis befindet sich in zentraler Lage von Bad Soden am Taunus. Die telefonischen Sprechzeiten meiner Praxis sind:
– Montags von 16 – 18 Uhr sowie
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