Essstörungen – ein Überblick zum Störungsbild
Als Essstörungen werden Verhaltensstörungen bezeichnet, bei denen primär eine Störung des Essverhaltens vorliegt – dies schließt je nach Störungsbild eine deutlich reduzierte bzw. restriktive Nahrungsmittelaufnahme, die übermäßige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema „Essen“, den teilweise oder völligen Wahrnehmungsverlust ernährungsbezogener Empfindungen wie Hunger oder Sättigung, eine Veränderung des Körperbildes bzw. Körperschemas oder die regelmäßige Anwendung gewichtsregulatorischer Maßnahmen mit ein. Die bedeutsamsten klinischen Störungsbilder dieser Kategorie sind die Anorexia nervosa (umgangssprachlich auch Anorexie genannt) und die Bulimia nervosa (umgangssprachlich auch Bulimie genannt). Je nach Literatur wird das Risiko, im Laufe des Lebens an einer dieser beiden Essstörungen zu erkranken, für Anorexia nervosa für Frauen in der Regel zwischen 0,5% und 1%, für Bulimia nervosa zwischen 1% und 1,5% angegeben. Männer sind bei beiden Störungsbildern deutlich seltener betroffen.
Neben der Anorexie und der Bulimie ist auch die Binge-Eating-Störung (binge-eating-disorder) von klinischer Bedeutung, bei der es bei betroffenen Patienten vor allem zu periodisch auftretenden Heißhungeranfällen (sogenannten Essattacken) mit subjektiven Kontrollverlust über das Essverhalten kommt. Alle Essstörungen stellen – neben der psychischem Belastung und dem Leidensdruck – für Betroffene auch ein erhebliches körperliches Gesundheitsrisiko dar. Schwerwiegende Symptome der Essstörungen wie extremes Untergewicht oder übermäßiges Erbrechen können zu körperlichen Folgeschäden wie z.B. Nierenversagen, Herzrhythmusstörungen, Magenschädigungen und sogar zum Organversagen und damit zum Tod der betroffenen Personen führen. Da der Beginn der Störung häufig schon im Jugendalter liegt, besteht für Essstörungen allgemein zudem ein hohes Chronifizierungsrisiko. Essstörungen lassen sich bei moderatem Schweregrad bei regelmäßiger ärztlicher Kontrolle ambulant psychotherapeutisch behandeln. Liegt bei betroffenen Personen bereits ein bedeutsames Untergewicht bzw. ein akute Gesundheitsgefährdung vor, so ist jedoch zunächst eine stationäre Behandlung zur Gewichtsstabilisierung und zur Prävention von körperlichen Folgeschäden dringend zu empfehlen.
Psychische und körperliche Symptomatik
Im Vordergrund von Essstörungen steht zunächst eine übermäßige und angsterfüllte gedankliche Beschäftigung mit Ernährung, Nahrung und Nährwert sowie mit dem eigenen Körpergewicht und der Figur. Betroffene Patientinnen beschäftigen sich oft den ganzen Tag immer wieder mit der Frage, was sie essen dürfen bzw. sich selbst erlauben können zu essen, sie zählen Kalorien oder versuchen, den Nährwert einer Mahlzeit abzuschätzen. Sie orientieren sich bei der Menge täglichen Ernährung nicht selten an dem Spielraum, den ihnen ihr aktuelles Körpergewicht „erlaubt.“ Durch Mangelernährung oder regelmäßig angewandte Strategien zur Gewichtskontrolle verlieren Betroffene grundlegende Steuerungsempfindungen wie Hunger und Sättigung. Betroffene Patientinnen haben eine grundsätzlich negative Einstellung zu ihrer Figur, sie empfinden ihren Körper – insbesondere die Problemzonen – oft als zu dick oder unschön oder nehmen diesen im Vergleich zu Bezugspersonen (z.B. Freundinnen) als unförmig oder hässlich wahr. Soziale Situationen, in denen Essen eine Rolle spielt, werden aus Angst vor subjektivem Kontrollverlust von Betroffenen oft gemieden oder sind sehr schambehaftet. Da betroffene Patienten sich oft viele Stunden am Tag mit Ernährung, Gewichtskontrolle oder Planung von Maßnahmen beschäftigen, besteht auch die Gefahr einer sozialen Isolation, eines anhaltenden Interessenverlusts und dadurch auch das Auftreten weiterer psychischer Störungsbilder wie z.B. einer Depression.
Der ernährungsbezogenen Symptomatik steht zudem ein massives Selbstwertproblem und einer Störung der Emotionsregulation gegenüber. Nicht selten beschreiben sich betroffene Patientinnen als „nicht gut genug“ oder geben an, sich selbst „nicht zu mögen“ oder sogar sich „zu hassen“ – sich als Person abzulehnen. Daher ist die vorherrschende Symptomatik oft nur ein dysfunktionaler Weg der Betroffenen, sich durch die Kontrolle ihres Körpers und die dadurch empfundene Selbstdisziplin oder Selbstwirksamkeit ihren verbliebenen Selbstwert zu bewahren. Dies wird nicht selten durch eine hohe Leistungsorientierung der Patienten z.B. im Beruf, in der Freizeit (z.B. beim Sport) oder Freizeitinteressen begleitet. Neben den allgemeinen Symptomen weisen die verschiedenen Störungsbilder große Unterschiede in Bezug auf Gewichtskontrolle, Essverhalten oder den Einsatz gewichtskompensatorischer Strategien auf:
Bei der Anorexia nervosa steht vor allem eine restriktive und meist sehr einseitige und kalorienreduzierte Ernährung der Betroffenen im Vordergrund und der Umgang mit Ernährung ist grundsätzlich sehr angstbehaftet. Patientinnen haben vor Beginn der Störung meist Normal- bzw. sogar leichtes Übergewicht. Während der Manifestation des Störungsbildes kommt es durch Vermeidung von hochkalorischen Nahrungsmitteln sowie durch eine restriktive Ernährung jedoch zu einem massiven Gewichtsverlust, der je nach Schweregrad des Störungsbildes bis zu einem lebensbedrohlichen Zustand gesteigert wird – mit erheblichen Gesundheitsfolgen für den Körper. Die durch das Untergewicht ausgelösten Körpersignale (Hunger) werden von den betroffenen Personen als Warnzeichen für einen möglichen Kontrollverlust bei der Nahrungsaufnahme interpretiert, was letztlich ihre Besorgnis vor Gewichtszunahme weiter verschärft. Zudem verblassen meist vorherrschende negative Gefühle wie Angst und Trauer bei anhaltendem Untergewicht, was Betroffene als Erleichterung empfinden, die Symptomatik jedoch aufrechterhält. Betroffene Personen können ihr Untergewicht nur bedingt vor anderen Personen verbergen und reagieren auf Besorgnis von Bezugspersonen oder aus ihrem sozialen Umfeld meist mit Scham und sozialem Rückzug.
Bei der Bulimia nervosa steht ebenfalls ein eher restriktives Ernährungsverhalten im Vordergrund, das jedoch immer wieder von Essattacken oder sogenannten Fressanfällen mit Kalorienzahlen bis zu mehreren Tausend in wenigen Minuten sowie nachfolgenden Kompensationsstrategien wie z.B. Erbrechen unterbrochen wird. Ausgelöst werden diese Essattacken meist durch anhaltenden Hunger in Kombination mit Frustrationen im Alltag und / oder starken negativen Gefühlen wie Schuld, Angst, Trauer oder Ärger mit dem Ziel der Selbstberuhigung. Bei einer Essattacke kommt es dann zu einer Verhaltenskette – nach anfänglichem Abflachen der Nervosität setzt schnell massive Angst vor einer Gewichtszunahme ein und Betroffene erbrechen ihre Nahrung vollständig, treiben massiv Sport oder setzen Abführmittel ein, um einer drohenden Gewichtszunahme vorzubeugen. Die Schuldgefühle über ihr „unnormales Verhalten“ motivieren Betroffene zwar zu regelmäßigen Versuchen, ihr Verhalten einzustellen – die Sorge vor einer Gewichtszunahme begünstigt jedoch restriktives Essverhalten und der Teufelskreis beginnt erneut. Patienten mit Bulimia nervosa halten meist ihr Gewicht, Untergewicht ist eher selten. Man unterscheidet den Purging-Typ (Erbrechen und / oder Abführmittel nach Essanfall) und den Non-Purging-Typ (Fasten und übermäßiger Sport nach Essanfall).
Bei der Binge-Eating-Störung kommt es ähnlich der Bulimia nervosa wiederholt zu Essattacken, die durch Hunger (restriktive Ernährung / Diäten) in Kombination mit Frustrationen im Alltag und / oder starken negativen Gefühlen wie Schuld, Angst, Trauer oder Ärger mit dem Ziel der Selbstberuhigung. Im Gegenzug zu bulimischen Patienten werden jedoch nachfolgend keine oder nur geringfügig kompensatorische Strategien angewendet, so dass Betroffene meist in Folge der Essanfälle deutlich an Gewicht zunehmen. Aufgrund zunehmender Diskrepanz zwischen Wunschgewicht und tatsächlichem Gewicht herrscht oft eine schambehaftete oder traurige Grundstimmung vor und betroffene Personen ziehen sich nicht selten sozial zurück oder starten verzweifelt neue Abnehmversuche. Die vorherrschende Grundstimmung sowie wiederkehrende Diäten erhöhen jedoch das Risiko weiterer Essattacken oder hochkalorischer Ernährung und bildet damit einen Teufelskreis.
Auslöser, Aufrechterhaltung und Auswirkungen
Die Auslöser einer Essstörung sind sehr vielfältig und in der Fachliteratur wird heute von einem multifaktoriellen Erklärungsansatz ausgegangen. So können negative Bindungserfahrungen, Überbehütung, elterliche Erwartungshaltung und Leistungsdruck, fehlende Modelle für einen adäquaten Umgang mit negativen Emotionen sowie sozialer Druck in der Peergroup, gesellschaftliche Schlankheitsideale sowie ein verzerrtes Idealbild der Frau auslösende oder mitverantwortliche Faktoren bei der Entwicklung einer Essstörung bei Betroffenen zu sein. Ungünstige Einstellung zum Essverhalten, beispielsweise Essen als primäre Belohnung wirken sich ebenfalls ungünstig auf das Risiko einer Essstörung aus. Oft geht dem Auftreten einer Essstörung ein belastendes Lebensereignis voraus – den Verlust eines Partners oder einer Bezugsperson, hoher Leistungsdruck in Schule oder Ausbildung oder soziale Ausgrenzung oder Zurückweisung. Hier scheint sich vor allem die Zunahme der Qualität und die differenzierte Wahrnehmung von Emotionen während der Pubertät bei belastenden Emotionen aufgrund einer solchen Belastungssituation auf das Risiko einer Erstmanifestation der Essstörung auszuwirken.
Insbesondere bei der Anorexia nervosa wird der anfängliche Gewichtsverlust bei betroffenen Patienten meist vom sozialen Umfeld sehr positiv aufgenommen und nicht selten durch entsprechende Rückmeldungen verstärkt. Schlägt die Begeisterung beim Umfeld später in Sorge um, haben betroffene Menschen das neue Verhalten bereits verinnerlicht und die Angst vor einem Kontrollverlust aufgrund der ständigen gedanklichen Beschäftigung mit Essen führt bei Betroffenen zu einer weiteren Verschärfung ihres Verhaltens und damit zur Aufrechterhaltung der Störung im Rahmen eines Teufelskreismodells.
Bei Patienten mit Bulimie und Binge-Eating-Störung ist vor allem der selbstberuhigende bzw. emotionsregulatorische Effekt durch vermehrte Nahrungsaufnahme während eines Essanfalls als aufrechterhaltende Bedingung zu nennen. Dieser führt primär zu einem Spannungsabfall und erleichtert dadurch den Umgang mit den in der Situation abgeschwächten negativen Emotionen deutlich. Kompensatorische Maßnahmen (Sport, Erbrechen, Abführmittel) wirken zudem sofort angstlindernd und verstärken dadurch das Verhalten, so dass Betroffene langfristig den Eindruck haben, sie könnten aufgrund ihrer wiederkehrenden Essattacken eine Gewichtszunahme ohne derartige Strategien nicht verhindern.
Die langfristigen psychischen und körperlichen Folgen einer Essstörung sind dramatisch. Neben der bereits beschriebenen belastenden psychischen Symptomatik, die nicht selten in Kombination mit einer depressiven Begleitsymptomatik auftritt, kommt es bei betroffenen Personen oft zu einer schwerwiegenden körperlichen Gesundheitsgefährdung sowie ernsthaften körperlichen Krankheitssymptomen. Patienten mit Anorexie leiden nicht selten unter Magen-Darm-Problematiken, Nierenschäden, Herzproblemen, Verlust der Menstruation, Kraftlosigkeit und andauernde Müdigkeit sowie bei massivem Untergewicht unter dem erhöhten Risiko eines Multiorganversagens. Patienten mit Bulimia nervosa leiden vermehrt unter Akne, angeschwollenen Speicheldrüsen, Zahnverlust und -schädigung, Veränderung der Magenschleimhaut, Speiseröhrenverätzungen sowie dem Risiko eines Magendurchbruchs aufgrund übermäßigen Erbrechens oder den langfristigen Folgen und Nebenwirkungen wiederholten Medikamentenmissbrauchs. Patienten mit Binge-Eating-Störung leiden unter Adipositas, metabolischem Syndrom und Herz-Kreislauf-Problemen. Eine Psychotherapie sollte daher immer durch medizinische Abklärung und die ärztliche Behandlung der körperlichen Begleitsymptomatik erfolgen.
Oft stehen Angehörige und Partner Menschen mit diesen Störungsbildern rat- und hilflos gegenüber -verzweifelte Versuche, den Betroffenen zu helfen oder zu Inanspruchnahme von professioneller Hilfe zu bewegen, enden nicht selten in fortwährenden Konflikten oder familiären bzw. freundschaftlichen Zerwürfnissen, die durch die angespannte Atmosphäre (und vermehrte negative Gefühle) die Problematik weiter eskalieren lässt. In anderen Fällen verschweigen Betroffene aus Scham oder aufgrund ungünstiger Vorerfahrungen im Umgang mit dieser Erkrankung ihre Symptomatik über Jahre hinweg Angehörigen oder sogar Lebenspartnern. So sehen sich Betroffene gezwungen, ein „Doppelleben“ zu führen und haben nicht selten Schwierigkeiten, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Partner aufzubauen. Wird die Symptomatik dann durch Zufall entdeckt, wird eine effektive Hilfestellung oft durch panisches Reagieren oder den Ärger des Partners über den vermeintlichen Vertrauensbruch oder das Unverständnis eher erschwert.
Ist die Essstörung bereits mit hohem Untergewicht oder einer schweren körperlichen Erkrankungen als Folge der Essstörung verbunden, so ist zunächst eine stationäre Behandlung mit umfangreicher Betreuung dringend indiziert und nicht selten lebensrettend. Eine ambulante Psychotherapie zur dauerhaften Bewältigung der Essstörung sowie allen Komorbiditäten (z.B. depressive Symptomatik und Selbstwertproblematik) kann dann im Anschluss erfolgen.
Diplom-Psychologe Andreas Behnke
Psychologischer Psychotherapeut (VT) aus Bad Soden am Taunus
Diagnostik & Psychotherapie von Essstörungen
Besteht bei Ihnen der Verdacht auf eine Essstörung, so können Sie gerne zur Abklärung einen Termin für ein Erstgespräch bzw. eine Sprechstunde in meiner Praxis vereinbaren. Anhand klinischer Diagnostik und einem persönlichen Kennenlerngespräch kann ich prüfen, ob und an welcher Form einer Essstörung Sie erkrankt sind, gegebenenfalls eine entsprechende Diagnose stellen und mit Ihnen zusammen einen geeigneten Behandlungsplan erarbeiten. Zudem kann ich prüfen, ob für Sie die Voraussetzungen für eine ambulante Psychotherapie gegeben sind oder zunächst eine Indikation für eine stationäre Behandlung vorliegt.
Ich behandle bereits seit mehreren Jahren ambulant Patienten mit Essstörungen, insbesondere Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. Als Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie arbeite ich in meiner Praxis vor allem symptomorientiert und setze im meiner Behandlung direkt an der Veränderung des Problemverhaltens an. Ich vermittle Ihnen umfangreiches Wissen zum Störungsbild, helfe Ihnen, die übermäßige gedankliche Beschäftigung mit Ernährung und Nahrungsaufnahme zu reduzieren und unterstütze Sie dabei, Ihr Gewicht wieder zu stabilisieren bzw. kompensatorische Maßnahmen wie Erbrechen, Einnahme von Arzneimitteln oder den Drang zu übermäßigen Sport kritisch zu hinterfragen und zu unterbinden, um wieder selbstfürsorglich mit Ihrem Körper umgehen zu können. Durch kognitive Methoden und regelmäßige Übungen helfe ich Ihnen, die Einstellung zu Ihrem Körper und Ihr Körperbild positiv zu verändern. Durch meine langjährige Arbeit mit dem Störungsbild habe ich gelernt, dass eine Essstörung auch mit niedrigem Selbstwert bei den Betroffenen zusammenhängt – daher lege ich in der Behandlung auch einen hohen Wert auf die Förderung des Selbstwertes und der Selbstakzeptanz.
Weiterführende Informationen zu Essstörungen:
Stationäre Behandlungsoptionen: Schön Klinik Roseneck am Chiemsee
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Über die Praxis
Praxis für Psychotherapie, Diplom-Psychologe Andreas Behnke, Psychologischer Psychotherapeut.
Kognitive Verhaltenstherapie (Einzel) für Erwachsene, Termine nach Vereinbarung. Coaching sowie Paarberatung auf Anfrage.
Lage & Telefonische Erreichbarkeit
Meine Praxis befindet sich in zentraler Lage von Bad Soden am Taunus. Die telefonischen Sprechzeiten meiner Praxis sind:
– Montags von 16 – 18 Uhr sowie
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